Die Geisterhand
Aus
dem Isländischen von Christina Pachschwöll
Kolbeinn
hatte seine langen roten Haare mit Wasser nach hinten gekämmt und sich einen
gekräuselten Schnurrbart aufgemalt. Er spielte Pirat. Er betrachtete sein
hochmastiges Piratenschiff, das auf dem Sofatisch stand. Auf der Flagge war ein
Totenschädel mit zwei gekreuzten blutigen Messern darunter abgebildet. Auf dem
Bug des Schiffes, der so scharf war wie die Klinge eines Dolches, stand in
blutigen Lettern der Name: MESSERSTICH. Die Glasplatte des Sofatisches war wie
eine viel zu glatte See unter dem Schiff.
„Wenn
ich bloß echtes Wasser hätte“, sagte er zu sich selbst und seufzte, „dann
könnte ich zumindest ein bisschen Seegang erzeugen.“
Kaum,
dass er das gesagt hatte, eilte seine Mutter barfuß im flatternden Sommerkleid
ins Wohnzimmer, mit einer grauen Wanne in den Händen, randvoll mit Wasser.
„Ai
ai ai ai ai, au au au au au, wie fürchterlich heiß das ist!“ jammerte sie und
stellte die Wanne vor dem hellblauen Schaukelstuhl vor dem Fernseher ab. Sie
blies sich auf ihre feuerroten Finger und sagte mit ernster Miene:
„Kolli,
jetzt musst du gut aufpassen. Das Wasser in der Wanne ist brennheiß. Ich
telefoniere jetzt mit Tante Sigga bis es genug abgekühlt ist, dass ich mir die
Zehen waschen kann. Du kannst spielen und ich vertraue darauf, dass du die
Hände nicht ins Wasser tauchst, denn das tut entsetzlich weh.“
Dann
eilte sie hinaus und Kolbeinn hörte bald, wie sie sich am Telefon mit Tante
Sigga über Kindererziehung unterhielt:
„Ja,
mein Kolli ist einfach so brav, er macht immer alles so wie man es ihm sagt.“
Kolbeinn
war fest entschlossen zu tun was die Mutter ihm gesagt hatte, und sich nicht am
Wasser zu verbrennen. Er hielt das schnittige Piratenschiff in der Hand und
betrachtete fasziniert, wie der Dampf sich wie Giftschlangen aus der Wanne
schlängelten. Er war sich sicher, dass sich tief im Nebel ein Goldschiff auf
langsamer Fahrt verbarg, das nur darauf wartete überfallen zu werden. Plötzlich
war ihm, als ob er Käpt’n Kolbeinn, genannt Vipernzahn wäre, auf brausender
Fahrt durch den feuchten Nebel. Er beugte sich zur Wanne hinunter und ließ
MESSERSTICH auf das dampfend heiße Wasser hinaus schwimmen. Das Schiff
verschwand im Dunst. Grimmig erhob sich Kolbeinn auf dem Schiff und brüllte:
„Hier kommen wir Piraten mit den Vipernzähnen! Wir fürchten nichts, das sich im
Nebel verstecken mag. Wenn es sehr groß ist, dann schneiden wir ihm die Pfoten
ab, bis es ganz klein wird, wenn es sehr fett ist, dann schneiden wir ihm die
Wampe ab, bis es ganz dünn wird und wenn es viel zu klein ist, als dass wir es
angreifen könnten, dann treten wir es anständig in den Hintern, sodass es in
die Luft fliegt und groß genug wird, dass wir es ausrauben können!“
Käpt’n
Vipernzahn war so kampflustig, dass er seine Fingerspitzen in alle Richtungen
streckte und wie wild um sich trat, bis PÄNG – er mit dem Fuß hart gegen die
Wanne mit dem Fußbadewasser trat und die berghohen Wellen über das Schiff
schwappten. Das Wasser platsche hin und her und ergoss sich sogar über den
Boden. Doch, was das Allerschlimmste war: Das furchteinflößende Piratenschiff
Messerstich war auf den Grund gesunken! Ohne zweimal darüber nachzudenken
beugte sich Kolbeinn hinunter um das Schiff zu retten, tauchte die Hand ins
Wasser und:
„AUaaaaaaaaaaa!!!!!!!!!!!!!!“
KOLBEINN
VERBRANNTE SICH GANZ FÜRCHTERLICH DIE HAND! Käpt’n Kolbeinn, genannt
Vipernzahn, biss sich fest auf die Zunge, damit seine Mutter seine Schreie
nicht hörte und musste erkennen, dass er genau das getan hatte, was er nicht
durfte. Obwohl er verstummte, schrie er in seinem Kopf weiter was das Zeug
hielt. Er konnte die schrecklichen Schmerzen keinen Moment länger ertragen,
jemand musste ihm helfen. Doch wer konnte ihm anderes beistehen als seine
Mutter? Es war sonst niemand im Haus. Kolbeinn erkannte, dass er sich dieses
Mal würde selbst helfen müssen. Er stöhnte durch die zusammengebissenen Zähne:
„Was
macht man, wenn man sich so schrecklich die Hand verbrennt?“
Kolbeinn
erinnerte sich daran, dass er ein großes Piratenbuch in seinem Zimmer hatte.
Darin stand alles über das Leben der Piraten. Er erinnerte sich vage daran
etwas über einen Koch auf einem Piratenschiff gelesen zu haben, der Sibbi
Schmalzhaar hieß, weil er immer Schmalz an den Händen hatte, das dann in seinen
langen Haaren landete, wenn er sie sich aus den Augen strich. Kolbeinn holte
eilig das Piratenbuch hervor und blätterte darin. Auf Seite
zehntausendsechshundertundzwei stand: (... a complete translation into German exists)